Die falsche Sturm-Frau

Am 30. Oktober 2015 feierte die Schirn Kunsthalle die Eröffnung der STURM-Frauen. Dem Katalog folgend, stellt diese Ausstellung den STURM als funktionierendes Netzwerk vor, welches als Impulsgeber für Neues, für Widerstand gegen althergebrachte Ausfassungen auftrat, Künstlerinnen und Künstler aus vielen unterschiedlichen Sparten miteinander verband, förderte und letztendlich in der STURM-Galerie unter der Federführung des Begründers Herwarth Walden ausstellte.

DER STURM, zunächst in Form einer Zeitschrift gegründet, förderte die expressionistische Kunst. 1912 folgte die gleichnamige Galerie, etwas später weitete Walden das Ganze auf die STURM-Bühne, die STURM-Buchhandlung, die STURM-Abende und andere STURM-Aktionen aus. Dabei lagen ihm wohl besonders die Künstlerinnen dieser spannenden Epoche am Herzen. Darunter namhafte Persönlichkeiten wie Sonja Delaunay, Marianne von Werefkin, Gabriele Münter, Else Lasker-Schüler, Jacoba van Heemskerck, Marcelle Cahn und viele anderen. Bis zur Schließung 1932 sollte er über 30 Malerinnen und Bildhauerinnen ausgestellt haben. Viele Galerien dieser Zeit hätten sich durchaus ein Beispiel daran nehmen können.

Befasst man sich zu diesem Thema mit dem Katalog*, stellt man bei genauem Hinschauen und Durchlesen zwei Irritationen fest. Zunächst wundert man sich über die spiegelverkehrte Abbildung eines Werefkins Gemäldes mit dem Namen „Der Sturm“ (Kat. S. 341) und erinnert sich an die flehenden und knienden Frauen. Waren diese nicht auf dem Original auf der rechten Seite angesiedelt?

Die zweite Irritation mutet schon noch etwas seltsamer an. Liest man die Passage über die Künstlerin Marcelle Cahn aufmerksam durch, dann erfährt man doch mehr über den Puristen und ihren Mentor Ferdinand Léger als über die Cahn selbst. Und dann stößt man auf eine Textzeile (Kat. S. 35). Darin heißt es „Bei einer ihrer Begegnungen bot Walden Marcelle Cahn eine Ausstellung in seiner Galerie an, die sie aber ablehnte.“Die gut vernetze Cahn versprach dem STURM-Begründer Abbildungen für die Zeitschrift zu schicken. Das Ganze endete dann doch mit einer Veröffentlichung im Heft 9 von Dezember 1930.

Demnach hat eine Abbildung für die Zeitschrift also ausgereicht, sie in diese besondere Ausstellung zu zeigen? Man ging bei der Schirn sogar so weit, dass eine ihrer Arbeiten als Titelbild für die Werbekampagne auszuwählen. Und ich dachte, die Schirn zeigt vor allem expressionistische Künstlerinnen, die auch die STURM-Galerie vertreten haben. Was waren die Beweggründe hierfür? Eine solche Wahl kann ich mir nur mit einer extremen Vorliebe der Kuratorin zu der Künstlerin vorstellen.

Was auch die Beweggründe waren, die Cahn als Vorzeige STURM-Frau zu nehmen, tatsächlich gab es bessere Kandidatinnen dafür. Unter anderem die Künstlerin Jacoba van Heemskerck. Gehörte doch diese „bald zum engsten Kreis der STURM-Künstler, ihre Holzschnitte wurden öfter in der Zeitschrift DER STURM abgebildet als die irgendeines Künstlers, und sie stellte regelmäßig in Einzel- und Gruppenausstellungen der STURM-Galerie aus.“ (Kat. S. 138) Man kann wohl davon ausgehen, dass ihre Bilder nicht als Magnet für die breite Masse schön genug waren. 

Bei dieser Gelegenheit könnte die Kunsthalle durchaus darüber nachdenken, ob es nicht an der Zeit wäre eine ausführliche Ausstellung über den Purismus zu konzipieren. Die Vorarbeit ist ja dank der Cahn schon gemacht und Léger-Ausstellungen in Deutschland sind durchaus selten.

Diejenigen, die sich an solche mittelgroße Fakten nicht stören, haben bis 07. Februar 2016 die Gelegenheit die Ausstellung noch zu besichtigen und sich ihre eigenen Gedanken darüber zu machen.

 

(*STURM-FRAUEN Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin (1910-1932), herausgegeben von Ingrid Pfeiffer und Max Hollein, Wienand Verlag)